Isometrie - mehr als nur Stillstand
Trainieren von Ausdauer, Kraft und Balance
Isometrische Übungen sind aus der modernen Tierphysiotherapie nicht mehr wegzudenken. Was so unspektakulär aussieht, ist für unsere Hunde und Katzen ein anstrengendes Training, bei dem die gelenknahen Muskelsysteme angesprochen und gekräftigt werden. Still stehen und dabei Muskeln aufbauen und die Kondition stärken? Wie das geht, lesen Sie in diesem Blogbeitrag.
Definition
Ein Muskel besteht aus vielen einzelnen Bündeln von Gewebszellen, die als Muskelfasern bezeichnet werden. Diese Muskelfasern enthalten kontraktile (Kontraktion: „sich zusammenziehen“) Bestandteile, die den gesamten Muskel verkürzen und wieder verlängern können. Diese dynamische Muskelarbeit ermöglicht, durch das fein abgestimmte Zusammenspiel von Anspannung und Entspannung verschiedener Muskelgruppen, u.a. die aktive Fortbewegung oder auch das Heben von Lasten.
Im Gegensatz dazu, leisten Muskeln auch statische Arbeit. Dies ist enorm wichtig, damit sich der Körper ausbalancieren kann, das Stehen möglich wird und die Gelenke unter dem eigenen Gewicht nicht zusammenknicken. Hierfür verantwortlich ist die Halte- bzw. Tiefenmuskulatur. Sie erzeugt eine muskuläre Dauerspannung, bei der sich die Länge des Muskels nicht verändert. Die Körperposition bleibt dadurch unverändert und es findet somit auch keine Bewegung in den Gelenken statt.
Isometrisches Training ist eine besondere Form des Kraft- und Ausdauertrainings. Bei dieser Trainingsform wird mit einer Muskelspannung gegen einen Widerstand gearbeitet, wodurch vor allem die statisch arbeitende Halte- bzw. Tiefenmuskulatur angesprochen und gekräftigt wird.
Isometrische Übungen sind eine besondere Form des Kraft- und Ausdauertrainings. Hierbei wird mit der Muskelspannung gegen Widerstände gearbeitet.
Für wen sind isometrische Übungen geeignet?
Isometrische Übungen sind für die meisten unserer Hunde und Katzen geeignet und bieten eine wunderbare Ergänzung zum alltäglichen Training.
Sogar viele unserer tierischen Senioren mit Gelenkerkrankungen wie Arthrose oder neurologischen Defiziten können davon profitieren. Oftmals werden sie durch die nur wenig beweglichen oder gar schmerzenden Gelenke in ihrer Aktivität und Bewegungsfreude eingeschränkt. Aktives und dynamisches Training ist daher häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Isometrische Übungen können unseren alten Tieren helfen, ihre Muskelmasse zu erhalten oder sogar zu vermehren, Stabilität im gesamten Körper zu bekommen und auch geistig fit zu bleiben.
In der Tierphysiotherapie werden isometrische Übungen häufig auch als eine der ersten Trainingsmaßnahmen nach operativen Eingriffen am Bewegungsapparat durchgeführt. Knochen und Gelenke dürfen bis zur Ausheilung noch nicht voll belastet werden, wodurch aktive Bewegungstherapie erst später im Heilungsverlauf eingesetzt werden kann. Isometrisches Training ist hier eine gute Möglichkeit die Muskeln zu erhalten und zu kräftigen, die Körperwahrnehmung und das Muskelempfinden zu stimulieren und Verspannungen durch Schonhaltungen entgegenzuwirken.
Allerdings gilt wie bei jedem Training: Die Übungen sollten zunächst richtig aufgebaut und auch richtig ausgeführt werden. Mit „nur mal so rumdrücken“ ist es nicht getan und kann im schlimmsten Fall mehr schaden als nutzen. Tierphysiotherapeuten und Hundetrainer stehen Ihnen hierbei gern beiseite.
Tierhaltende mit Hunden und Katzen, die unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumorerkrankungen oder anderen schweren körperlichen Einschränkungen leiden, sollten jedoch unbedingt vorab Ihren Tierarzt konsultieren.
Die positiven Effekte isometrischer Übungen
Trainieren wir regelmäßig die Tiefenmuskulatur unserer Hunde und Katzen, hat das verschiedenste Auswirkungen auf deren Körper.
Betrachtet man zunächst den Muskelapparat für sich, wirkt sich regelmäßiges isometrisches Training sowohl positiv auf die Muskelkraft als auch auf die Muskelelastizität aus. Die Muskelkraft bildet die Grundlage, um eine Bewegung möglich zu machen und die Muskelelastizität ist die Fähigkeit eines Muskels sich zu dehnen und somit seinen vollen Bewegungsspielraum ohne Einschränkungen ausnutzen zu können. Beides sind also wichtige Bausteine für eine gesunde und physiologische Bewegung.
Betrachtet man die Effekte auf den gesamten Körper, so kann man bei regelmäßigen Trainingseinheiten häufig eine Steigerung in der Ausdauer und Kondition feststellen. Auch das Gefühl für den eigenen Körper und dessen Position im Raum („Propriozeption“) wird gefördert.
Das Zusammenspiel aus steigender Muskelkraft und verbesserten Körpergefühl, ermöglichen es dem Hund und der Katze sich koordinierter und ausbalancierter zu bewegen. Die gesamte Körperhaltung wird stabilisiert und schmerzhaften muskulären Verspannungen kann vorgebeugt werden.
Eine gut ausgebildete Tiefenmuskulatur ist Voraussetzung dafür, dass ein Gelenk in jeder beliebigen physiologischen Stellung stabilisiert werden kann.
Selbsttest
Damit Sie ein Gefühl dafür bekommen, wie anstrengend das Trainieren der Haltemuskulatur ist, machen Sie gern einmal den Selbsttest. Stellen Sie sich selbst in eine bequeme Position, bei der Ihre Beine etwa hüftbreit auseinander stehen und die Arme und Schultern locker hängen gelassen werden. Eine zweite Person übt nun mit der flachen Hand sich langsam steigernden Druck auf Ihren seitlichen Oberarm aus. Sie versuchen ihre statische Körperposition gegen den Druck zu halten und sich nicht aus der Balance bringen zu lassen. Dies funktioniert natürlich auch an anderen Körperstellen, beispielsweise durch Druckausübung auf ihren oberen Rücken nach vorn. Probieren Sie es gern mal aus. Wie lange können Sie die Balance halten?
Das Hand-in-Hand-Prinzip
Isometrische Übungen bedürfen grundsätzlich keinerlei Zubehör, da hierbei mit Widerständen gearbeitet wird, die durch den Körper selbst entstehen. Sie können nahezu überall durchgeführt werden. Dennoch ist im Training mit Ihrem Hund oder Ihrer Katze eine ruhige, möglichst störungsfreie Atmosphäre anzustreben, damit sich Ihr Tier voll auf diese Aufgabe konzentrieren kann.
Die Ausgangsposition Ihres Tieres:
Ihr Tier steht vor Ihnen, wobei der Rücken und der Kopf eine gerade Linie bilden sollten. Die Gliedmaßen sollten sich in einer neutralen Stellung unter dem Körper befinden. Kein Bein der sich gegenüberliegenden Gliedmaßenpaare sollte also abgespreizt oder weiter vorne/ hinten stehen als das andere.
Durchführung:
Mit der flachen Hand nehmen Sie zunächst Kontakt zu der Körperregion auf, die Sie gleich trainieren wollen. Hierfür eignen sich zu Beginn die seitliche Schulter- oder Oberschenkelmuskulatur. Ihre beiden Hände liegen nun also links und rechts auf der gleichen Körperregion sanft auf.
Sie beginnen nun mit einer Seite ihrer Wahl und üben mit der entsprechenden Hand zunächst sanften Druck auf die Muskelgruppe aus. Um nicht aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden, muss Ihr Tier nun durch Anspannung seiner Tiefenmuskulatur einen Gegendruck aufbauen. Wenn Sie genau hinfühlen, können Sie die muskuläre Anspannung Ihres Tieres sogar spüren. Nach einer individuellen Haltephase, wird die Hand nicht abrupt weggenommen, sondern der Druck ausschleichend verringert. Zur gleichen Zeit nimmt Ihre andere Hand Kontakt an der gegenüber liegenden Körperstelle auf und baut dort entsprechend langsam wieder den gleichen Druck auf und die Übung wiederholt sich auf der anderen Körperseite.
Wenn Sie und Ihr Tier diese Übung zum ersten Mal ausführen, beginnen Sie nur mit ganz leichten Druck. Ihr Hund oder ihre Katze sollte diese Position nur eine bis maximal zwei Sekunden halten müssen, bevor Sie den Druck wieder ausschleichen. Diese Übungen sind anstrengender, als man denkt. Daher ist immer darauf zu achten, dass Sie Ihr Tier nicht überfordern!
Tipps:
Anfangs kann es hilfreich sein, mit einer Ablenkung zu arbeiten. Viele unserer Haustiere sind es gewohnt, auszuweichen und beiseite zu gehen, wenn man sie „wegdrückt“. Je nach Energielevel und Aufregungsgrad, kann beispielsweise mit einer Futtertube oder sanftes Kraulen am Kopf gearbeitet werden. Die Einführung eines Kommandos (z.B. „halten“) macht das Training später einfacher.
Erhöhung des Schwierigkeitsgrades:
Der Schwierigkeitsgrad kann auf sehr unterschiedliche Weisen variiert oder erschwert werden. Bitte beachten Sie stets die Erhöhung des Schwierigkeitsgrads nur langsam und schrittweise durchzuführen. Ihr Tier soll den Spaß an den Übungen behalten und nicht überfordert werden. Daher empfehle ich nur eine Variation nach der anderen auszuprobieren. Es kann sein, dass ihr Tier auf ebenen Untergrund dem Druck schon 10 Sekunden standhalten kann, auf einem luftgefüllten Balancekissen aber möglicherweise nur noch 2 Sekunden. Trainieren Sie also immer langsam und mit bedacht und achten Sie auf die Ermüdungsanzeichen Ihres Tieres!
Eine Möglichkeit der Variation ist die isometrischen Übungen an anderen Muskeln oder Muskelgruppen auszuführen. Wenn die großen seitlichen Muskelgruppen an Oberarm und Oberschenkel gut gemeistert werden, kann man die Übungen auch beispielsweise auf die Vorderbrust, den seitlichen Brustkorb oder die Innenschenkelmuskulatur ausweiten.
Eine Veränderung der Wiederholungsanzahl pro Trainingseinheit oder der zeitlichen Länge, die dem Druck standgehalten werden muss, ist ebenfalls eine gute Möglichkeit das Training zu intensivieren.
Auch die Druckstärke kann je nach aktueller Konstitution und Kondition angepasst werden. Von anfangs nur minimalen bis leichten Druck, kann später auch mittelgradiger oder stärkerer Druck ausgeübt werden.
Für die Intensivierung des Trainingseffekts eigenen sich auch zunehmend instabilere Untergründe. Anfänger starten mit einem festen und ebenen Untergrund. Fortgeschrittene Tiere können auch an unebene, wackelige oder instabile Untergründe gewöhnt werden. Hierfür eigenen sich u.a. dicke Decken oder Kissen, spezielle luftgefüllte Balancekissen, große Gymnastikbälle, Wackelbretter, Luftmatratzen, große liegende Baumstämme, etc.
Achten Sie auf Ermüdungsanzeichen Ihres Tieres:
Senden von Beschwichtigungssignalen wie gähnen, lecken, den Blick abwenden, …
Zeigen von Ausweichverhalten wie herumlaufen, sich ablegen oder hinsetzen, …
Zeigen von Übersprungshandlungen wie sich putzen, kratzen, bellen, maunzen, sich wälzen, …
Anzeichen von Unkonzentriertheit zeigen wie herumalbern, Spielzeug holen, Kommandos nicht oder nur langsam ausführen, sich schnell ablenken lassen, …
Sollten Sie solche Anzeichen bemerken, beenden Sie die Übung direkt mit einer leichten Aufgabe und belohnen Sie im Anschluss großzügig!
Die nächste Trainingseinheit sollten Sie dann etwas anpassen, damit Ermüdungszeichen am besten gar nicht erst auftreten. Es geht darum den Spaß an der Aufgabe zu erhalten und Ihr Tier mit einem positiven Gefühl aus dem aktuellen Training zu entlassen.
Trainingsgrundsätze
Trainieren Sie zunächst in einer ruhigen, ablenkungsarmen Umgebung
Achten Sie auf einen rutschfesten, ebenen Untergrund
Ihr Tier sollte noch trainings- und aufnahmebereit sein und nicht durch andere Aktivitäten zu ermüdet sein
Steigern Sie den Schwierigkeitsgrad nur langsam und kleinschrittig
Die Wiederholungszahl und die Dauer der Ausführung der Übungen sollten immer dem individuellen Trainingszustand angepasst werden
Beenden Sie das isometrische Training direkt bei ersten Ermüdungserscheinungen mit einer leichten, noch schaffbaren Übung und belohnen Sie Ihr Tier großzügig
Isometrische Übungen sind gerade für un- oder nur wenig trainierte Hunde und Katzen äußerst anspruchsvoll! Es kommt hierbei sehr schnell zu Ermüdungserscheinungen. Trainieren Sie daher anfangs besser in kurzen Einheiten und dafür lieber zwei- bis dreimal pro Woche.